Allerorts fehlt es an unversiegelter Fläche, die früher im ländlichen Raum ausreichend zu finden war: insbesondere bunte Saumstrukturen im Hofbereich, entlang von Mauern, Hecken und Wegen prägten das Dorfbild. Darüber hinaus bereicherten die sich spontan ansiedelnden Arten den regionalenSpeisezettel und begründeten die Zucht der historischen Nutzpflanzenkulturen. Auch hierfür liefert die Wegwarte ein anschauliches Beispiel.
Die besondere Blütenfarbe der hoch wachsenden Wegwarte, ein weit leuchtendes Hellblau-Violett, war Anlass von diversen Benennungen (u.a. Hansl am Weg, Wegeleuchte) und vieler Legenden und Mythen (so soll sie u. a. in Novalis Roman die berühmte "Blaue Blume", das Symbol der Romantik verkörpern).
Die Gattung Cichorium mit acht Arten ein- und mehrjähriger Pflanzen aus Europa, Westasien und Nordafrika ist eng mit dem Lattich verwandt; beide Korbblütler besitzen die typischen löwenzahnähnlichen Blüten und zungenförmigen Blätter und scheiden bei Blattverletzungen Milchsaft aus. Die Wegwarte ist zweijährig, d.h. im ersten Jahr bildet sie nur eine bodennahe Rosette aus, um im zweiten Jahr stark verzweigt und in einer Höhe bis zu 1,20 m zwischen Juli und Oktober zu erblühen. Ihre blauen Blüten folgen dabei dem Sonnenverlauf und schließen sich bereits am Nachmittag.
Warme, vollsonnige Standorte und trockene Lehmböden werden bevorzugt. Gerne an Mauern und Böschungen, innerhalb von Wegsäumen oder anderen anthropogen stark beeinflussten Wuchsorten, Sekundärstandorte wie aufgelassene Kalksteinbrüche, Lehm- und Mergelgruben, Bahnhöfe mit Gleisanlagen, Industriebrachen oder stillgelegte Hafenanlagen.
Blüten, Blätter und insbesondere die Wurzeln dienten schon im Altertum den Griechen und Römern als Heilpflanze und Gemüse. Der Inhaltsstoff Inulin regt den Gallenfluss an und senkt den Harnsäurewert. Karl der Große soll in seiner Landgüterverordnung (Capitulare de villis, 812 n.Chr.) auch die Wegwarte als Nutzpflanze und Heilkraut eingefordert haben. Später förderte Friedrich der Große den Anbau der Wurzelzichorie, die im 18. und 19. Jahrhundert die wirtschaftlich wichtigste Form der Zichorienkultur wurde. Bis heute werden die besonders auf Größe hin gezüchteten Wurzeln nach Rösten und Mahlen als Kaffee-Ersatz (sog. "Muckefuck") verwendet.
Zusätzlich wurden zwei weitere Cichorium-Arten in europäischen Gärten des 18. und 19. Jahrhunderts kultiviert: die Salatpflanzen Radicchio, Chicoree und Endivien. Aktuell droht auch alten Kultursorten inklusive deren Genpotential das Aus. Täglich gehen wertvolle und bewährte Lokalsorten unwiederbringlich verloren, welche nicht im Brüsseler Sortenverzeichnis erfasst sind. Vereine und Organisationen bemühen sich bundesweit um den Erhalt der Vielfalt von historischen Kultur- und Nutzpflanzen.