Die Blume des Jahres 1992 gehört zu einer Pflanzengruppe, die schon seit alters her das Interesse des Menschen geweckt hat. Es ist eine "fleischfressende" — eine insektenfangende — Pflanze, der Rundblättrige Sonnentau. Für die Loki Schmidt Stiftung steht diese interessante Pflanze stellvertretend für ihren besonders gefährdeten Lebensraum, das nährstoffarme Hochmoor. Schon mit der Blume des Jahres 1991, der Rosmarinheide, wollten wir auf das Hochmoor aufmerksam machen, weil es außer dem Hochgebirge die einzige Urlandschaft, der einzige nicht durch Menschen geschaffene Lebensraum für Pflanzen und Tiere ist.
Eine Beschreibung der Pflanze aus dem Kräuterbüchlein von Dietrichs von 1737 charakterisiert die Moorpflanze folgendermaßen: "Die Pflanze ist Sonnentau genannt, sintemalen das Kräutlein auch bei dem Sonnenschein und zu jederzeit mit schönen, hellen Wassertröpflein gefunden wird, als wenn es darauf getauet hätte."
Das, was Dietrichs "Wassertröpflein" nennt, sind allerdings glitzernde, klebrige Tropfen, die am Ende der rötlichen Drüsenhaare, Tentakeln genannt, sitzen. Diese Tentakeln bedecken die ganze runde Blattfläche und sind am Blattrand besonders lang. Wenn sich ein Insekt auf das Blatt setzt, klebt es fest. Versucht es sich durch Strampeln zu befreien, reizt es auch die entfernter stehenden Tentakeln. Sie krümmen sich und umschließen endlich das Tier. Es können Fliegen, kleine Käfer, aber auch Schmetterlinge und Libellen gefangen werden. Das ausgeschiedene Sekret der Pflanze enthält einen unserem Magensaft ähnlichen Stoff, der die weichen Teile des Insektes löst, so dass er von den Tentakeln aufgenommen werden kann. Später öffnet sich das Blatt wieder und der Wind weht die unverdaulichen Reste davon. Durch diese Insektennahrung versorgt sich die Pflanze mit Stickstoffverbindungen, die es in dem sauren Hochmoor kaum gibt. Der Sonnentau kann auch ohne diese Zusatznahrung leben. Er wird aber kräftiger und hat auch mehr Samen mit dem tierischen Eiweiß. Im Juli und August blüht der Sonnentau. Dann reckt sich ein etwa 20 cm hoher Stiel mit kleinen weißen Blüten über die Rosette.
Früher wurde der Sonnentau auch als Heilpflanze gesammelt gegen Bronchitis und Keuchhusten. Heute steht er unter Naturschutz. Er wird aber nur überleben können, wenn sein Lebensraum, das Hochmoor, erhalten bleibt und wenn die wenigen Hochmoore, die es noch gibt, nicht mehr durch Abtorfen oder Entwässern zerstört werden.
Neben dem Rundblättrigen Sonnentau kommen in Deutschland noch zwei weitere Arten vor: Der Mittlere Sonnentau (Drosera intermedia) und der Langblättrige Sonnentau (Drosera anglica), letzterer insbesondere im Alpenvorland.